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Gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu gibt es bisher keinen Haftbefehl.

© imago/photothek/Kira Hofmann

Exklusiv

Netanjahu verhaften?: „Baerbock ist doch Völkerrechtlerin!“

Die Kritik an der Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof gegen Israels Regierungschef wird lauter. CDU-Chef Friedrich Merz sieht gar einen „Skandal“.

Ist es vorstellbar, dass Israels Ministerpräsident eines Tages auf deutschem Boden verhaftet wird? Die Kritik an der Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Israel wird lauter.

Es gebe bisher keinen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister, sagte Constantin Ganß, Präsidiumsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, dem Tagesspiegel: „Außenministerin Baerbock ist doch eine Völkerrechtlerin! Sie wird genau wissen, dass sich der Chefankläger über Artikel 17 des Rom-Statuts hinwegsetzt.“

Das Römische Statut ist die vertragliche Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshofs. Der Artikel 17 regele klar, „dass der IStGH nur dann zuständig ist, wenn der betreffende Staat nicht willens oder in der Lage ist, Ermittlungen durchzuführen“, sagte Ganß. Es gebe keinen Grund, der israelischen Justiz das vorzuwerfen.

Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit

Israelische Gerichte seien in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, israelische Politiker und hohe Militärs anzuklagen. Eine unabhängige Justiz sei schließlich unerlässlich für eine Demokratie wie Israel. „Deshalb irritiert es doch sehr, dass sich der deutsche Regierungssprecher an solchen Spekulationen beteiligt“, sagte Ganß.

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Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte am Mittwoch auf die Frage, ob sich Deutschland an Entscheidungen des Strafgerichtshofs halten werde, geantwortet: „Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“ Deutschland sei „grundsätzlich“ ein Unterstützter des IStGH.

Merz moniert Schweigen und Andeutungen

CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte die gleichzeitige Beantragung von Haftbefehlen gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Führung der radikalislamischen Hamas. Dies sei „eine absurde Täter-Opfer-Umkehr“, sagte Merz der „Bild“-Zeitung am Mittwoch. „Aber das Schweigen der Bundesregierung bis hin zur Andeutung des Regierungssprechers, dass Netanjahu auf deutschem Boden verhaftet werden könnte, wird nun wirklich zum Skandal.“

Der Internationale Strafgerichtshof sei eingerichtet worden, „um Despoten und autoritäre Staatsführer zur Rechenschaft zu ziehen, nicht um demokratisch gewählte Regierungsmitglieder festzunehmen“, sagte der CDU-Chef.

Merz forderte eine Stellungnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Was ist eigentlich die viel beschworene Solidarität zu Israel noch wert, wenn sich der deutsche Regierungssprecher zu solchen Aussagen hinreißen lässt? Und ist das auch die Meinung des Bundeskanzlers?“

Vollstreckung des Haftbefehls „nicht im Ermessen der Bundesregierung“

Nach Ansicht des früheren Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe (SPD), müsste Deutschland im Zweifel einen Haftbefehl des IStGH vollstrecken. Das Grundgesetz sei ebenso wenig verhandelbar wie das Internationale Recht, dem sich Deutschland vertraglich verpflichtet habe, sagte Robbe dem Tagesspiegel: „Aus diesem Grund ist schon die Frage obsolet, ob sich die Bundesregierung einer Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes widersetzen würde. Selbstverständlich würde sie jede Entscheidung akzeptieren, auch die Vollstreckung eines möglichen Haftbefehls gegen Benjamin Netanjahu.“

Robbe sagte, es liege „gar nicht im Ermessen der amtierenden oder einer künftigen Bundesregierung, einen derartigen Haftbefehl nicht zu vollstrecken“.

Der von der terroristischen Hamas verursachte Gaza-Krieg habe zu unsäglichem Leid auf beiden Seiten geführt, sagte der langjährige frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Robbe. Erst nach Beendigung des Krieges würden alle Details des beispiellosen Massenmordes an 1200 jüdischen Zivilisten sowie der Entführung und Misshandlung von 240 Geiseln ans Tageslicht kommen. „Und ebenso wird zu klären sein, ob die Art und Weise der israelischen Gegenwehr immer angemessen und völkerrechtlich einwandfrei war“, sagte Robbe.

Es dient weder dem Frieden im Nahen Osten noch dem Rechtsfrieden, wenn der IStGH erkennbare Zielkonflikte schlichtweg ignoriert.

Reinhold Robbe (SPD), Ex-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Es sei fraglich, ob der Zeitpunkt für die Beantragung des Haftbefehls gegen Netanjahu und Hamas-Chef Sinwar mitten im Gaza-Krieg gerechtfertigt sei. So werde der gewählte Ministerpräsident Netanjahu vom Chefankläger des IStGH, „gewollt oder ungewollt auf eine Ebene mit dem selbsternannten Terroristen-Führer Sinwar gestellt“, sagte Robbe.

Zudem müsse man fragen, was ein Haftbefehl des IStGH überhaupt bewirken könne, wenn neben Israel die USA und Russland den IStGH gar nicht anerkennen. „Deshalb muss sich gerade der IStGH kritische Fragen gefallen lassen“, sagte Robbe. „Denn es dient weder dem Frieden im Nahen Osten noch dem Rechtsfrieden, wenn der IStGH erkennbare Zielkonflikte schlichtweg ignoriert.“

IStGH-Ankläger Karim Khan hatte am Montag wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie gegen die Anführer der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas beantragt.

Israel reagierte empört darauf. Auch die USA kritisierten das Vorgehen des IStGH-Chefanklägers gegen Netanjahu und Gallant. (mit AFP)

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